Auf der Suche nach einer neuen Sprache

[Anm. d Autors: Die folgenden Überlegungen lassen bei entsprechender Motivation zu einem Essay oder Buch ausarbeiten. Im Rahmen dieses Blogbeitrags skizziere ich nur grob die Umrisse und verzichte auf Quellenangaben. Wer auch immer Lust hat, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, sollte dies tun]

1) Unsere Sprache, die wir sprechen, spiegelt unser Bewusstsein, bzw. Inhalt und Form dessen, was wir denken. Wofür wir keine Begriffe verfügen, ist für uns undenkbar. Anders herum: Durch neue Begriffe erlernen wir neue Zusammenhänge und Perspektiven. Dieser generelle Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein wurde schon oft ausgearbeitet. In jüngster Zeit wurde darauf aufbauend manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg der Versuch unternommen, anhand von Sprachstrukturen Rückschlüsse auf Weltbilder oder sogar psychologische Entwicklungsstufen zu machen. Der Erfolg/Misserfolg dieses Unternehmens hängt dabei weniger von der Tatsache ab, dass man über Sprache Rückschlüsse auf kognitive Strukturen und Prozesse machen kann, sondern davon, Kriterien zu finden, die allgemein genug sind, um für alle Anwendungsfälle zu gelten, als auch speziell genug, um etwaige Unschärfen zwischen den Systemen Sprache/Bewusstsein höher aufzulösen.

2) Jedes Weltbild, jede Epoche, jede geistige Entwicklungsstufe verfügt insofern über der ihnen eigene sprachliche Strukturen. Übernehmen wir das Narrativ des Schöpfergottes, der die Welt erschuf (wie alle abrahamitischen Religionen) so spiegelt sich dies notwenigerweise auch in der Sprache wieder, und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Abgesehen vom Inhalt der religiösen Texte finden wir hier sowohl dogmatische Formen als auch mythologische Erzählungen. Aufgrund dieses Zusammenhanges finden wir mit der Abkehr von religiös-gesellschaftlichen Strukturen und einem modernen Bewusstsein eben auch rationale Texte als Ausdruck eines neuen Weltbildes, bestrebt, das was erklärt werden soll, eben in wissenschaftlich, d. h. logisch nachvollziehbaren Argumenten zu tun. Und aus demselben Grund entstehen in dem Übergang zu postmodernen Bewusstseins- und Gesellschaftsstrukturen eben post-rationale Textformen wie im Surrealismus, Dadaismus, aber auch in den 'klassisch' postmodernen philosophischen Texten, die weniger einer kühlen Prämissen/Konklusion Dogma sprachlicher Logik folgen, sondern hochgradig subjektivistisch sind. Hier finden wir die Wirbel und Strudel subjektiver Selbst- und Weltwahrnehmung, die ihren Eingang in die textliche Sprache finden. Sie verlieren interessanterweisen nicht ihre inhärente Logik, sondern fügen dem etwas Neues hinzu, das auch Ausdruck eines neuen Weltbildes war (und ist).

3) Was uns natürlich zu der nicht unwichtigen Frage führt, wie eine post-postmoderne Sprache beschaffen sein muss (oder kann). Es ist deutlich, dass ein Rückgriff auf frühere Sprachtypen nicht ausreichen kann, um die Charakteristika eines post-postmodernen Bewusstseins oder einer solchen Kultur zu beschreiben, genau so wenig, wie dogmatische Erzählungen ausgereicht hätten, Newtons Erkenntnisse zu transportieren oder eine rein formale Sprache ausgereicht hätte um die Kraft der Metapher des Rhizoms auszudrücken, welches Deleuze und Guattari eben in rhizomatisch-textlicher Weise eingeführt haben. Das heißt, nur eine Kongruenz von Inhalt und Form kann die Aspekte einer Weltsicht oder Entwicklungsstufe formulieren, die sie auszeichnen. Auch müssen wir fehlgehen, wenn wir auf rein rationale Weise versuchen die Abfolge und Eigenschaften der Entwicklungsstufen und Weltbilder zu ordnen. In diesem Versuch muss etwas – wie viel oder wenig kann hier unmöglich gesagt werden – verloren gehen. (Dies mag bestenfalls als ein modernistisch-rationaler Ansatz für Entwicklungsstufen durchgehen.) Anders herum: Nur eine neue Sprache kann die Inhalte einer neuen – eben post-postmodernen Weltsicht vermitteln. Wie auf den anderen Stufen findet auch hier in ganz natürlicher Weise eine Kongruenz oder Stimmigkeit von Inhalt und Form statt, d. h. die neuen Perspektiven, die mit der neuen Weltsicht einhergehen, finden auch Ausdruck in einer neuen Form textlicher Darstellung. Wie, um die Frage zu wiederholen, kann diese textliche Darstellung aussehen?

4)  Es liegt nahe anzunehmen, dass post-postmoderne Textstrukturen zunächst ihre eigenen Stilmittel und Weisen der Weltdarstellung zum einen offenlegt, zum anderen nicht mehr mit bestimmten früheren Darstellungsweisen identifiziert ist. Der Erkenntnis postmoderner Sprach- und Bewusstseinsforschung – und ihrer Beziehung – wird (auf irgendeine Weise) Rechnung getragen. Identifikation (sowie mehr noch: Des-Identifikation) ist - was das angeht - ein wichtiger Aspekt in der Persönlichkeitsentwicklung; wir müssen lernen uns im Rahmen unserer Reifung mit bestimmten Weltsichten, Glaubenssätzen, Rollen und Perspektiven zu identifizieren, um diese Identifikation im nächsten (Entwicklungs-)Schritt wieder aufgeben zu können. Der wesentliche ‚Trick‘ – um es auf den Punkt zu bringen – der Identifikation ist: Identifikation macht uns stets handlungsfähig, während wir gleichzeitig die Komplexität der Phänomene der Welt aus den Augen verlieren. Sobald wir uns etwa mit einem Narrativ identifizieren, ‚sind‘ wir es; wir leben es und sind in seiner Dynamik eingefangen. Indem wir uns desidentifizieren, sind wir fähig, andere Narrative wählen zu können. In Bezug auf unsere Überlegungen bedeutet dies: Eine post-postmoderne Textform scheint zunächst nicht an bestimmte Stilmittel gebunden zu sein.

5) Diese Freiheit von der Identifikation – besonders auch von vorhergehenden Stilformen – führt dazu, dass diese Texte ‚vorwärtsgerichtet, willkürlich und vergänglich‘ wirken, folgt man dem Kulturdiagnostiker Alan Kirby. Sie verführen den Leser während des Lese-Aktes dazu, einen bestimmte Menge von Werten und Perspektiven anzunehmen, um so den Skeptizimus und Relativismus postmoderner Textformen zu überkommen und zu einer neuen Erfahrung von Schönheit und Transzendenz zu kommen. Das heißt, sie nutzen ganz bewusst eine ‚als-ob‘ Haltung (vgl. Eshelmanns Performatismus), die inkorporiert, dass dies ein willkürlicher Akt ist und erzeugen so eine Einheitserfahrung und strahlen Optimismus und Kreativität aus. Der Freiheit und Des-Identifikation von den früheren Stufen und Sprachformen wird so formal Rechnung getragen und damit eine Einheit von Inhalt und Form erzeugt. Das heißt, eine solche Sprache ist zwangsläufig selbst-ironisch. Exemplarisch sind die Gedichte von Md. Ziaul Haque, die als Beginn post-postmoderder Poesie verstanden werden. Hier: "Give me a Sky to fly":

Give me a sky to fly!
With clouds being a home afloat,
Where can I ponder and sigh,
Travel freely as if on a solitary boat.

Ears o' mine receiving messages heavenly,
The birds translating resonance from the wind,
Shower bliss with utter ecstasy,
Beckon the Creator for being thus kind.

Yearning to tap the horizon afar,
Once I, who knows, may draw closer.

Tom AmarqueComment