Lügenpresse?

Man stelle sich einmal vor, was wir z. B. von der Weltpolitik und sonstigen globalen Ereignissen mitbekommen würden, hätten wir keine Zeitung, kein Internet, Radio, Fernsehen und auch kein Smartphone. Buchstäblich nichts. Das mediale Rauschen wäre einfach verschwunden, und man könnte sich um andere Dinge kümmern. Doch stimmt das von den Massenmedien erzeugte Bild der Wirklichkeit mit DER Wirklichkeit überein? Jeder Medienwissenschaftler und Soziologe weiß heute: Natürlich nicht! Die Massenmedien erzeugen ihre eigene Wirklichkeit, und müssen sich in diesem Produktionswahn immer mit der Vergänglichkeit der eigenen News auseinandersetzen. Geschichten werden daher aufgebauscht, Experten hinzugezogen, ganze Storylines unter dem Druck, Material für die nächste Ausgabe zu haben, erfunden. Wie ist es dann also möglich, fragte schon der Systemtheoretiker Niklas Luhmann ("Die Realität der Massenmedien"), dass wir Informationen über die Welt und über die Gesellschaft als Informationen über die Realität akzeptieren, obwohl wir wissen, wie und dass sie produziert werden?

Gerade in unseren heutigen Zeiten gewinnt diese Frage wieder an Relevanz. ‚Lügenpresse‘, dieses politisch-polemische Schlagwort, das schon vor dem Ersten Weltkrieg Verwendung fand, um die lügnerische Feindpresse des anderen Landes zu diffamieren, findet heute wieder seinen Gebrauch nicht nur bei denen, die unter akuter Medienverdrossenheit leiden, sondern bei rechten Aktivisten jeder Couleur.

Das Problem freilich ist, dass diese Medienverdrossenheit nicht von ungefähr kommt. Eine subtile Gewissheit stellt sich langsam ein. Etwas ist faul im Staate Dänemark. Seit einiger Zeit dominieren etwa in den Medien die ‚schrecklichen‘ Aussagen Donald Trumps, er wolle eine Mauer zwischen Kalifornien und Mexiko errichten. Selten – wenn überhaupt – wird hier in Deutschland die Tatsache erwähnt, dass Hillary Clinton selbst vor 10 Jahren für eine 700 km lange Mauer votierte.[1] Auch können sich die deutschen Medien nur mit sehr viel Mühe ihre Ablehnung unterdrücken, während sie berichten, dass Trump 3 Millionen illegale (vor allem straffällig gewordene) Einwanderer  zurück nach Mexiko schicken will, während wiederum nicht erwähnt wird, dass dies in etwa dieselbe Anzahl ist wie die, Barack „The great Deporter“ Obama zurückschickte.[2] Und ein drittes Beispiel aus der US-Wahl: Es existiert das allseits akzeptierte Narrativ, dass sich Trump offen faschistisch/nationalistisch verhält, während man bei einer genauen Betrachtung seiner Aussagen eine ziemlich andere Haltung gegenüber Latinos und Afroamerikanern aufzeigen kann. Tatsächlich gewann er während seiner Kampagne eine Vielzahl von Stimmen von Latinos und Afroamerikanern, während seine Botschaft für das weiße Amerika am wenigsten anziehend war. [3]

Die Beispiele ließen sich unendlich fortsetzen. Was sich also abzeichnet ist, dass von den Medien ein Bild der Realität geschaffen wird, dass an sich nicht nur eben konstruiert, sondern auch höchst selektiv ist. Polaritäten werden geschaffen, Fakten produziert, Ängste erzeugt; und – weil wir eben keinen Zugang zu der Realität an sich haben (wer redet schon im Falle der US Wahl mit 300 Millionen Menschen und erfährt, wie sie die Welt sehen) – ist es unmöglich, zu überprüfen, was jetzt stimmt, und was nicht. Doch aufgrund dieser medialen Konstruktionen - man sieht das deutlich an der US-Wahl - gehen die Leute auf die Straße. (Luhmann nennt dies die 'Kopplung von den Medien mit dem Gesamtsystem 'Gesellschaft') Einige Leute prügeln sich, in einem Fall wurde ein Weißer von mehreren Schwarzen verprügelt, weil er Trump wählte. Ein anderer junger und besonders 'liberaler' Demokrat scheißt öffentlich auf ein Trump-Plakat.  Und die Medien haben dadurch zweierlei Gewinn. Einerseits haben sie eine neue Story, und andererseits bestätigt sich damit ihr eigenes Weltbild.

Der Begriff ‚Lügenpresse‘ ist insofern diffamierend, weil durch ihn ein bewusster Akt des Lügens im Angesicht besseren Wissens impliziert wird. Ich denke, kein Journalist lügt absichtlich – dafür sind die Qualitätsstandards in den westlichen Redaktionen zu hoch. Ich denke vielmehr, dass hier ‚internalisierte‘ psychologische Selektionsprozesse zutage treten, das heißt die Verinnerlichung von sozialen Werten, Rollen, Weltsichten und Normen. 90 Prozent der Medien in Deutschland sind letztlich liberal ausgerichtet, die Linke hat den Kulturkrieg gewonnen.[4] Das heißt aber, dass die Produzenten der Nachrichten internale oder eben verinnerlichte psychologische und soziale Selektionsprozesse haben, welche Geschichten sie wie genau präsentieren, und auf welchem Konsens welche Narrative weiter ausgebaut werden. Und diese Narrative oder Storys spiegeln eben diese sozialen Werte der Linken, der Identitätspolitik, der christlich-puritanischen Auffassung vom Arbeits-  und Liebesleben etc. wider. Das ist kein Lügen, genauso wenig wenn ich lüge, wenn ich ‚meine‘ Geschichte erzähle. Meine persönliche Geschichte ist natürlich auch eine Konstruktion und hat mit den tatsächlichen Erfahrungen umso weniger zu tun, um so mehr sie in der Vergangenheit liegt. Trotzdem akzeptiert jeder die Geschichten, die ich über mich selbst erzähle, so als wären sie wahr.

Das hat etwas mit unserem menschlichen Bedürfnis nach Sinnkonstruktion und Bedeutung zu tun, und ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben („Narratives Bewusstsein“). Das Problem dabei ist, dass durch die Dialektik der Berichterstattung und Narration genau die Phänomene erzeugt und verstärkt werden, gegen die sich die liberal-pluralistische Presse (und Öffentlichkeit) eigentlich abgrenzen will. Ich kann nicht links denken ohne rechts zu invozieren, denn das Eine erzwingt notwenigerweise das Andere und erhält dadurch seine eigene Legitimation. Wollen wir nationalistisch-populistische Phänoemene in der Gesellschaft untersuchen, müssen wir zu allererst also einen Blick auf die links-liberale Ethik der Öffentlichkeit und Medienlandschaft schauen, denn sie sie sind kausal für das Auftreten der Rechten mitverantwortlich. Das mag natürlich kein postmoderner Liberaler hören.[5] Um diesen Dualismus zu überwinden, brauchen wir einen post-postmodernen Ansatz, um mit Medien und Geschichten umzugehen.

Alles, so Luhmann, was wir von der Welt wissen, wissen wir über die Massenmedien. Interessanterweise - weil sie sich damit selbst unterlaufen würden - aber können die Medien ihre eigene Konstruktionsweise nicht mitprozessieren, so um Sinne eines Disclaimers: Alle Nachrichten sind konstruiert, und daher - prinzipiell - auch anders möglich. Daher liegt die Verantwortung bei uns, wie wir mit welchen Nachrichten und Stories wie genau umgehen wollen ... und wir müssen von dieser Verantwortung Gebrauch machen und entscheiden, welche die Storys sind, die für alle gut sind ...

 

[1] http://www.politifact.com/wisconsin/statements/2016/aug/15/donald-trump/donald-trump-right-hillary-clinton-once-wanted-wal/

[2] http://fusion.net/story/252637/obama-has-deported-more-immigrants-than-any-other-president-now-hes-running-up-the-score/

[3] http://slatestarcodex.com/2016/11/16/you-are-still-crying-wolf/

[4] http://thefederalist.com/2016/06/14/why-the-left-has-not-won-the-culture-war/


[5] Schon Ken Wilber beobachtete, dass das postmoderne Denken nicht in der lange ist, seine eigenen Schatten zu sehen und ordnete es deshalb dem 'first tier' Denken zu.

Tom AmarqueComment