Ein Argument für Beziehungen

In letzter Zeit wurde viel darüber spekuliert, ob monogame, seriell-monogame, polyamore oder gar anarchistische („Beziehungsanarchismus“) Liebesbeziehungen die in der post-postmodern Ära – wie sich auch immer weiter entfalten mag - bevorzugten romantischen Strukturen sind.  Ich halte solche Diskussionen für unfruchtbar und im weitesten Sinne für unsinnig. Mein Credo: Whatever works! Auch wenn jemand in einer 30-jährigen Beziehung sein Glück, sein Wachstum, und seine Erfüllung findet, gibt es doch keinen Anlass, warum eine solche Struktur einer polyamoren, anarchischen oder sogar seriell monogamen vorzuziehen ist … vorausgesetzt die sich aufeinander Beziehenden finden ihr Glück, Wachstum und Erfüllung.

Es gibt übrigens keinen besonderen Grund, warum ich ‚Glück, Wachstum und Erfüllung‘ als Kriterien für eine funktionale Beziehung genannt habe. Vielleicht ist es persönliches Wunschdenken, vor allem, weil ich weiß, dass dies Nennwerte sind, die in den alltäglichen zu führenden Beziehungen schwer oder unmöglich konstant aufrechtzuerhalten sind. Sexuelle Erfüllung (als nur ein Beispiel einer Form von Erfüllung) wie man sie im Rausch des Oxitocins erlebt, nutzt sich bekanntlich nach spätestens 36 Monaten ab. Danach beginnt die 'Arbeit'. Auch Glück ist so ein Nennwert. Wer empfindet schon konstant Glück? Und wäre das überhaupt wünschenswert, stets Glück zu empfinden? Beziehung heißt schließlich auch, die Bereitschaft aufzubringen, sich mit dem eigentlich Fremdartigen auseinanderzusetzen. Das ist, offen gesagt, selten glücksverheißend.

Wachstum, zu guter Letzt, sollte ein wichtiger Aspekt einer Beziehung sein und kann viele Formen annehmen. Ich denke nicht, dass man notwendigerweise eine ‚evolutionäre‘ Einstellung haben muss, um miteinander zu wachsen. Häufig reicht auch schon der Konsens über die goldene Regel aus, dass man in Laufe einiger Jahre miteinander einen Wachstums- und Reifeprozess durchmacht.

Auch wurden Überlegungen laut, dass die beiden Partner doch am besten über dieselben Entwicklungsstufen  verfügen sollten, um eine erfolgreiche Beziehung (was auch immer das sei) führen zu können. Ich halte das schlicht für Quatsch. Eine Beziehung anhand von gemeinsamen Entwicklungsstufen, Linien, Interessen etc. zu bemessen ist in etwa so, wie einen Sonnenaufgang anhand von Quantengleichungen zu bewerten. Beziehungen sind komplex. Sie bilden immer eine besondere Einheit, einen Geschmack, den man zwar rational dekonstruieren kann (und ab und zu dekonstruieren sollte), der doch aber immer ein gewisses Etwas ausmacht, das eben nicht zu erklären ist. Ein Zauber. Umso spürbarer ist dieser Zauber, wenn er dann einmal verloren geht.

Ich habe da eine ganz funktionalistische Einstellung. Der Mensch – als Ganzes – muss wachsen. Manchmal kann das mit einem Menschen geschehen, der sich irgendwo da in den Koordinaten befindet, wo man selbst steht. Manchmal kann er oder sie auch ganz woanders auf dem Koordinaten-Papier stehen. Die Lebens- und Entwicklungstrajektorie, auf der man sich bewegt, ist nämlich in den seltensten Fällen dem Einzelnen vollkommen klar. Manchmal ‚braucht‘ man was diamentral Entgegengesetztes. Wir wussten dies mal, als wir uns in der Pubertät befanden und mit allen möglichen Leuten Beziehungen ausprobiert haben. Dann wurden wir älter, und meinen dann, dass diese Experimente z. B. in eine monogame Beziehung einmünden sollten. Den wenigsten ist klar, dass in der DNA der Monogamie aber sowohl der Gütervertrag als auch die kirchliche Verhaltenskontrolle mit eingebaut ist. (Ist jetzt nicht so wichtig). Tatsache aber ist, wir haben in der Pubertät auch deshalb so viel herumprobiert, weil wir uns sozialisieren, sprich wachsen wollten. Warum sollte dies im Erwachsenendasein anders sein? Sobald man in einem potenziellen Partner die Möglichkeit sieht, sich selbst weiterzuentwickeln, sollte er auf jeden Fall in die engere Auswahl geraten. Wir sollten uns da nicht so eng machen, und hauptsächlich schauen, wie wir uns mit wem weiterentwickeln können.

Ich habe übrigens keine rationale Definition dafür, was ‚Liebe‘ sein soll. Ich denke aber, dass mindestens drei Aspekte vorliegen müssen, damit ein Phänomen wie Liebe zustande kommen kann. Fehlt eines dieser Elemente, oder geht es verloren, kann Liebe nicht bestehen.

Geschichte: Der erste Aspekt ist ganz offensichtlich. Man kann jemanden nicht lieben, mit dem man keine gemeinsame Geschichte hat. Man kann sich vielleicht verlieben. Aber Liebe, also jenes Phänomen, das der Verliebtheitsphase folgt, kann nur bestehen, wenn man etwas hat, auf das man sich gemeinsam beziehen kann: Ereignisse, Abenteuer, Erfahrungen, Lebensentwürfe, Weltbilder etc.

Vinculo: Ein spanisches Wort, für das es eigentlich keine eins-zu-eins Übersetzung gibt; meint so etwas wie Link oder Verknüpfung oder Verbindung, wobei da auch bestimmte tiefenpsychologische Aspekte mit hineinspielen (siehe ‚affectional bond‘). Man sucht sich einen Partner aus, der seiner eigenen Mutter oder Vater widerspiegelt (oder genau das Gegenteil sind) Meint also gesunde und quasi neurotische tiefenpsychologische Verflechtungen. Auch hier spielt Geschichte eine Rolle, wenn auch generationsübergreifend: Auf etwas muss man sich beziehen; in dem Fall wären das alte Muster zu seinen Eltern, die in aktuellen Beziehungen zum Tragen kommen. Fehlt dieser Vinculo, hat man nichts, worauf man sich beziehen könnte, hätte kein Impuls, kein Drang und kein Interesse, sich dem anderen zuzuwenden. Wie gesagt, das kann manchmal sehr neurotische Züge annehmen. Muss es aber nicht.

Der Gute Wille:  Während die beiden ersten Aspekt quasi vergangenheitsbezogen sind, zeigt dieser auf die Gegenwart und unmittelbare Zukunft. Ich denke, dass dies der wichtigste Aspekt der Drei ist. Er ist das, was bewusst getan wird (während die beiden anderen eher einen unbewussten Einfluss ausüben). Der Gute Wille ist die bewusste und wohlwollende (und kooperative) Zuneigung und Zuwendung. Fehlt dieser, oder geht verloren, dann hilft auch alles Sprechen und Versuchen nicht mehr weiter. Freilich wird der gute Wille auch durch die gemeinsame und die generationsbedingte Geschichte informiert und geformt, und dennoch ist da das Handeln in der Gegenwart, was Freiheitsaspekte verleiht. Man kann sich auch nur so und soviel gegen seine Geschichte und den Vinculo auflehnen. Manchmal muss man seine Ohnmacht eingestehen, auch wenn die eigene Ethik darauf hindeutet, noch mehr bewusst in die Beziehung zu investieren. Dies kann ein schmerzhafter Moment sein. Klar aber ist, wenn der Gute Wille endet, dann endet auch die Beziehung, des in-Beziehung-treten-Wollens.

Woran man einmal mehr sehen kann, wie stark die Liebe doch dem Willen unterstellt ist.

Tom AmarqueComment