Höherer Sinn – Höherer Wille

Wir alle streben nach einer umfassenderen Erfüllung, wir alle wollen uns verwirklichen und unser volles Potenzial ausschöpfen. Die integrale Theorie - als eine zeitgenössische Theorie - hat uns zwar eine bislang nicht gekannte Landkarte unseres Geistes geboten, aber sie kann uns nicht helfen, herauszufinden, was passiert, wenn wir unsere durchlaufenen Entwicklungsstufen, aber auch unsere inneren Stimmen und Teilselbste tatsächlich integriert haben.

Sie hilft uns nicht, zu wissen, was wir mit dieser Integration anstellen können, was wir wirklich wollen und wie wir diesen Willen in der Welt umsetzen können. Wie wir unsere Verwirklichung und Erfüllung finden können. Das ist auch nicht weiter schlimm, es war nie die Idee der Integrale Theorie, eine Ethik mitzuliefern.

So wie sich die Liebe auf jeder Entwicklungsstufe entwickelt und umfassender wird, so gibt es auch viele Formen des Wollens – und gemäß der integralen Landkarte so viele Weisen des Wollens, wie es eben Stufen der Entwicklung gibt. Die Weise des Wollens, die mit der Integralen oder post-postmodernen Stufe auftritt, und mit der eine höhere Selbst-Erkenntnis und ein höherer Sinn einhergeht, möchte ich der Einfachheit halber hier den höheren Willen nennen. 

Dieser höhere Wille entsteht aus der Integration von allem, was vorher kam, von allen Stufen und Teilselbsten. Er ist, um in diesem sprachlichen (integralen) Begriffsrahmen zu bleiben, Ausdruck eines sich selbst bewussten Gesamtselbst. Es ist fähig zur Performanz und dazu, den Relativismus und die Handlungsunfähigkeit der pluralistischen Stufe zu überwinden. Ein solcher Wille steht immer im Einklang mit der Welt, in der er auftritt. Und er ist auch immer Ausdruck eines Invidiuums, das frei von inneren Widersprüchen ist.

Anders herum: So lange Du noch haderst, so lange Du an Deinem Weltentwurf zweifelst, so lange Du noch nicht weißt, was Deine ‚Bestimmung‘ ist oder Dein Genius, so lange magst du die integrale Landkarte zwar rational verstanden haben --- durch und durch verwirklicht aber hast Du sie nicht. Da ist etwas, was noch unbekannt ist, und dies drückt sich aus durch jene geheime Unzufriedenheit, die Du kennst. Sie verschwindet, wenn Du deinen höheren Sinn und deinen höheren Willen gefunden (oder: geformt) hast.

Zu allen Zeiten der Menschheit wurde auf diesen höheren Sinn aufmerksam gemacht, manchmal als TAO, manchmal und in prä-rationaler Zeit als Projektionen des Geistes: Als Genius oder Daimon, der Mittler zwischen Gott und Mensch ist und uns mit Wissen, mit Sinn, Wille und Liebe und den Botschaften der Götter versorgt. Wir wissen heute freilich: Dieser Daimon liegt nicht außerhalb von uns, er ist schlicht ein Name für unser Gesamtselbst, dass zu höherem Wille und Sinn fähig ist. In der kabbalistischen Mystik nennt man diese Stufe auf ‚Tipheret‘ –  das schöne Selbst – symbolisiert durch eine Sonne. Und wie eine Sonne ist auch so ein neues Gesamtselbst, durch seinen Willen leuchtend und die Welt durch Licht und Wärme vor der Ewigkeit des Alls schützend und behütend.

Auch dies ist freilich nur eine Stufe, und muss bald einer anderen weichen. Was konstruiert wurde, kann bald zu Guten einer höheren Einheit mit dem All dekonstruiert werden. Doch für den Moment ist der Höhere Wille alles, was wir uns ersehnen.   

Tom AmarqueComment